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Teilzeitarbeit in Zahlen

Wer Teilzeit arbeitet, ist entspannter, macht aber selten Karriere

Ein Blick in die Statistik zeigt: Die Schweiz ist ein Teilzeitland. Vor allem Mütter sind selten in vollen Pensen berufstätig. Teilzeitarbeit ist zudem in der Regel ein «Karrierekiller». Angesichts des akuten Personalmangels in manchen Branchen könnte Bewegung in die traditionellen Strukturen kommen.

Illustration zu Teilzeitarbeit ist ein Karrierekiller.
Dem Karrierekiller Teilzeit können nur wenig Arbeitnehmende entkommen.

Text DANIEL BÜTLER
Illustration WOLF BASTIAN BURK, ANJA PIFFARETTI

Bei Teilzeitarbeit ist die Schweiz spitze. Fast vier von zehn Erwerbstätigen haben kein Vollzeitpensum. Das sind doppelt so viele wie im EU-Schnitt. Nur in den Niederlanden arbeiten noch mehr Erwerbstätige Teilzeit. Dabei lässt sich ein klarer Geschlechterunterschied feststellen. Fast sechs von zehn Frauen arbeiten Teilzeit, aber nur jeder fünfte Mann arbeitet nicht Vollzeit. Dies zeigen Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS).
Bei Familien wird der Unterschied noch ausgeprägter: Rund 80 Prozent der Mütter arbeiten Teilzeit, aber nur jeder zehnte Vater ist in einem Teilzeitpensum tätig. Dabei ist der Wunsch nach mehr Teilzeitarbeit unabhängig vom Geschlecht vorhanden. So gaben in einer Studie des Lebensversicherungskonzerns Swiss Life neun von zehn Vätern und Müttern an, sie würden bei freier Wahlmöglichkeit am liebsten reduziert arbeiten. Die Realität ist eine andere: Teilzeitarbeit ist in als «frauentypisch» geltenden Tätigkeiten wie Pflege, Erziehung und Soziales stark verbreitet, während sie bei den männerdominierten Handwerks- oder IT-Berufen selten ist.

Fast 80 Prozent der Frauen sind erwerbstätig
Trotz dieses «Gender Gap» hat die Schweiz bei Frauen eine vergleichsweise hohe Erwerbsquote. Mit gut 78 Prozent erwerbstätigen Frauen liegt das Land europaweit an der Spitze, wie Daten des Statistischen Amts der Europäischen Union (Eurostat) für das Jahr 2020 zeigen. In Deutschland sind 74 Prozent der Frauen erwerbstätig, in Frankreich 69 Prozent, in Italien gut die Hälfte. Die Frauen im Ausland arbeiten aber eher Vollzeit.
Der häufigste Grund für Teilzeitarbeit ist die Kinderbetreuung. Schweizer Eltern kümmern sich oft an mehreren Tagen pro Woche selber um ihre Kinder. Im Gegensatz zu anderen Ländern ist es unüblich, den Nachwuchs jeden Tag in einer Kita betreuen zu lassen. Und die entsprechenden Angebote sind relativ teuer. Für manche Eltern lohnt es sich eher, das Pensum zu reduzieren, als die vollen Betreuungskosten zu tragen.
Als weiteren möglichen Grund für den hohen Teilzeitanteil nennt Daniel Kopp von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) die langen Arbeitszeiten: «In der Schweiz arbeitet man mit einem 90-Prozent-Pensum etwa so viel wie in Dänemark mit einem Vollzeitpensum.» Wer weniger arbeiten möchte, müsse zwangsläufig das Pensum reduzieren.

Beschäftigungsgrad der erwerbstätigen Frauen und Männer in der Schweiz

Grafik Beschäftigungsgrad der erwerbstätigen Frauen und Männer in der Schweiz

Hohes Lohnniveau begünstigt Teilzeit
Schliesslich spielt auch das hohe Schweizer Lohnniveau eine Rolle. Hierzulande lässt sich das Leben eher mit einem Teilzeitpensum finanzieren als in anderen Ländern. Teilzeitangestellte müssen aber gewisse Nachteile in Kauf nehmen, wie das BFS festhält: Kleinere Pensen gehen einher mit einer schwächeren sozialen Absicherung, einem schlechteren Verdienst und mit geringeren Karrierechancen. Andererseits zeigen Studien, dass Teilzeitarbeitende zufriedener, relaxter und erst noch produktiver sind. Da ist es kein Wunder, dass Teilzeitjobs beliebt sind. Die Nachfrage ist grösser als das Angebot.
Was aber heisst «Teilzeit»? Generell nur, dass jemand nicht Vollzeit arbeitet – eine konkrete Stundenzahl ist nicht gemeint. Das BFS zählt alle Pensen mit einem Beschäftigungsgrad unter 90 Prozent dazu. Vollzeit bedeutet in der Schweiz in der Regel eine 40- bis 42-Stunden-Arbeitswoche. Gemäss Thomas Geiser, Professor für Arbeitsrecht an der Universität St. Gallen, sind Vollzeit und Teilzeit aber keine gesetzlich definierten Begriffe. Im Arbeitsvertrag ist jeweils die zu leistende Arbeitszeit festgeschrieben. Bei Führungskräften fehlt diese oft. Hier wird maximale Verfügbarkeit erwartet. Rechtlich festgehalten sind lediglich maximale Arbeitszeiten. In den meisten Branchen dürfen 45 bis 48 Stunden pro Woche nicht überschritten werden. In der Landwirtschaft liegt die Grenze bei 55 Stunden.

Andere Länder, andere Vollzeitpensen
Während in der Schweiz gemäss Eurostat Vollzeitangestellte im Jahr 2020 fast 43 Stunden pro Woche arbeiteten, waren Vollzeitangestellte in den meisten europäischen Ländern weniger Stunden pro Woche für ihren Arbeitgeber tätig, in Dänemark zum Beispiel gut 38 Stunden. Grafik Vollzeitpensen nach Ländern.In Serbien hingegen wurde mit 44 Stunden pro Woche und in der Türkei mit 48 Stunden länger gearbeitet.
Betrachtet man die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden aller Erwerbstätigen im Durchschnitt, ändert sich das Bild. Wegen des hohen Teilzeitanteils liegt die Schweiz mit 35,4 Stunden pro Woche leicht unter dem EU-Schnitt von 36. Im weltweiten Vergleich der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) liegt die wöchentliche Arbeitszeit in der Schweiz sogar weit hinter Ländern wie Singapur mit 45, Indien mit 48 und den Vereinigten Arabischen Emiraten mit 53 Stunden pro Woche. Noch weniger ist die Schweiz eine «Chrampfernation», wenn man die Jahresarbeitszeit betrachtet. Dann gehört sie sogar zu den Ländern, in denen die Erwerbstätigen im weltweiten Vergleich am wenigsten arbeiten – auch, weil die Schweiz viele Feiertage hat und Arbeitnehmenden ein vergleichsweise hohes Ferienguthaben zusteht. Vereinfacht gesagt, arbeiten die Menschen in ärmeren Ländern mehr als die in den wohlhabenden, und das für weniger Geld.
In der Schweiz ist Teilzeit letztlich Teil eines grösseren Trends: der Flexibilisierung der Arbeitswelt. So wird ortsunabhängiges und – in geringerem Mass – zeitunabhängiges Arbeiten wichtiger. Begünstigt wird dies durch die Digitalisierung. Und die Corona-Pandemie hat den Trend zum Home-Office verstärkt.

Sehr unterschiedliche Arbeitszeitmodelle
Es gibt verschiedene Teilzeitmodelle; nicht immer werden die klassischen Achtstundentage geleistet. So kann die Sollarbeitszeit beibehalten, aber auf mehr Tage verteilt werden. Jemand mit einem 80-Prozent-Pensum arbeitet zum Beispiel an fünf Tagen, dafür aber weniger als acht Stunden pro Tag. Doch es gibt auch das umgekehrte Modell, etwa für Führungskräfte. Die Anzahl Arbeitstage wird reduziert, aber die Sollarbeitszeit beibehalten: Die 42 Stunden werden an vier Tagen geleistet. Darüber hinaus gibt es das Jahresarbeitszeitmodell, bei dem ein bestimmtes Pensum über das ganze Jahr verteilt wird. In manchen Phasen arbeiten die Angestellten weniger, in der restlichen Zeit mehr, vielleicht Vollzeit. Dies eignet sich bei saisonal schwankender Arbeitsbelastung. Eher selten ist in der Schweiz Jobsharing: Hier teilen sich in der Regel zwei Personen eine Vollzeitstelle.
Wie erwähnt sind die Hauptgründe für Teilzeitarbeit hierzulande Kinderbetreuung und Hausarbeit. Zahlen des BFS zeigen: In fast 70 Prozent der Familien wird die Hausarbeit zur Hauptsache von den Frauen erledigt, und in 74 Prozent der Haushalte bleiben ebenfalls die Frauen zu Hause, wenn ein Kind krank ist. Wenn aber beide Teilzeit arbeiten, leistet die Frau nur in der Hälfte der Haushalte die Hauptarbeit zu Hause, bei Paaren ohne Kinder nur in vier von zehn Haushalten.

Ist Teilzeitarbeit unter besser Ausgebildeten in der Regel aber doch eine freiwillige Entscheidung, so existiert sie auch in erzwungener Form, vor allem im Tieflohnsektor. Sieben Prozent der Erwerbstätigen, zumeist Mütter, sind laut BFS unterbeschäftigt. Arbeitsstellen im Pflege- oder Reinigungsbereich werden häufig in Teilzeitpensen angeboten.Grafik Anteil Teilzeiterwerbstätige in der Schweiz Manche der dort tätigen Frauen würde gern mehr arbeiten, können aber nicht.
In Führungspositionen dagegen muss in der Regel Vollzeit gearbeitet werden. So werden Personen, die familienbedingt Teilzeit wählen, oft ausgeschlossen. Betroffen sind vor allem Mütter. «Teilzeitarbeit ist an vielen Ort noch immer ein Karrierekiller», sagt Lucia Lanfranconi, Professorin für Sozialpolitik und Soziale Arbeit an der Hochschule Luzern. «Hier müssen die Unternehmen in die Pflicht genommen werden.» Doch ein Grossteil der Firmen reflektiere das Problem zu wenig, gerade KMU und technische Betriebe. Bei vielen internationalen und öffentlichen Arbeitgebern sei hingegen die Möglichkeit für ein Pensum von 80 Prozent oder tiefer möglich. Diese Unternehmen profitierten auch von einem diverseren Führungsteam.

Männern wird Teilzeitarbeit oft erschwert
Ein Mittel, Frauenkarrieren zu erleichtern, wäre, die ganze zu leistende Arbeit – also in Familie und Haushalt sowie im Beruf – gerechter zwischen Männern und Frauen aufzuteilen. Doch das scheitert auch am Mangel an Teilzeitstellen für Männer. «Männer, die Teilzeit arbeiten wollen, sind benachteiligt», sagt KOF-Forscher Daniel Kopp. Er hat eine Studie über das Rekrutierungsverhalten von Personalverantwortlichen bei Job-Room durchgeführt, einer Job-Plattform des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO. Fazit: «Unternehmen suchen unter Männern immer noch primär Vollzeitarbeitskräfte.»
Der Vollzeitzwang hindert also Männer, ihr Pensum zu reduzieren, und Frauen, beruflich aufzusteigen. Gerade gut ausgebildete Frauen können so ihr Potenzial nicht ausschöpfen. «Ein besser ausgebautes und kostengünstigeres Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen sowie ein grösseres Angebot an Teilzeit-Führungspositionen für Frauen und Männer dürften das Problem mildern», hält Kopp fest.
Vielleicht kommt nun Bewegung in die Strukturen, da manche Unternehmen seit Monaten händeringend nach Personal suchen. Eine Flexibilisierung der Arbeitszeitmodelle könnte eine Möglichkeit sein, den Personalmangel zu entschärfen. Soziologin Lanfranconi ist überzeugt, dass eine Veränderung stattfindet. Wichtig sei, dass Teilzeitarbeit kein Frauenthema sei: «Sowohl Männer wie Frauen sollen das im Arbeitsmarkt selbstbewusst einfordern. Und attraktive Arbeitgebende können damit auf Personen aller Geschlechter eingehen.»

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Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Zeitschrift «blickwinkel», deren Herbstausgabe 2022 sich dem Thema Teilzeitarbeit widmet.
Die Zeitschrift «blickwinkel» erscheint jeweils im Mai und November. Jede Ausgabe konzentriert sich auf ein facettenreiches Thema und beleuchtet es aus unterschiedlichsten Perspektiven.
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