Schuhe reparieren aus Leidenschaft
Vom Bubentraum zum eigenen Geschäft
Alan Softic fand in der Schuhmacherei seine Berufung. Er repariert seit fünf Jahren in Zürich-Enge Schuhe für Kunden aus der ganzen Schweiz. Rahmengenähte englische Lederschuhe hält er für die besten überhaupt.
Alan Softic fand in der Schuhmacherei seine Berufung.
Text SULEIKA BAUMGARTNER
Video und Fotos ÖZGÜR SAKAR
Der kleine schwarzhaarige Bub drückt seine Nase ans Schaufenster und blickt fasziniert auf das, was er sieht: einen Schuhmacherautomaten. Ein Männchen schlägt pausenlos Nägel in einen Schuh. Das Männchen wird nicht müde. Auch die vielen Schuhe ziehen den Buben in den Bann. Er kommt immer wieder vorbei. Manchmal bleibt er eine halbe Stunde vor der Auslage im Zentrum von Zürich-Oerlikon stehen. Ein Vierteljahrhundert später sitzt Alan Softic in seinem Geschäft und schlägt Nägel in einen Schuh. Er ist mittlerweile 30, gross und schlank und stolzer Besitzer einer Schuhmacherwerkstatt. Auf seiner dunkelblauen Arbeitsschürze prangt das eigene Logo. Auf dem Arbeitstisch liegen die typischen Schuhmacherwerkzeuge: Beisszange, Lederschere, Spitzahle, Leim, Hammer, Wildlederbürste, Nähnadel, Flachzange, Nageldurchschläger.
Der junge Nachfolger
Vor fünf Jahren hat Softic den Laden im Zürcher Enge-Quartier übernommen. Zuvor stand das Geschäft ein halbes Jahr lang leer. «Wenn es nach meinem Vorgänger gegangen wäre, hätte ich seine Werkstatt gleich nach der Lehre übernehmen können», erinnert sich der Handwerker, «aber das war mir dann doch zu früh.» Von seiner ehemaligen Berufsschulklasse ist er der Einzige, der Schuhmacher im eigentlichen Sinn geblieben ist – alle anderen arbeiten als Orthopädieschuhmacher, stellen also Massschuhe her, Einlagen und Fussstützen.
Softic macht das, was er schon immer machen wollte: Schuhe reparieren. «Ein anderer Beruf wäre gar nicht in Frage gekommen», sagt der Familienvater. Gelernt hat er seine Tätigkeit während dreier Jahre in der Schuhreparaturfabrik Huwyler in Birmensdorf.
An diesem Tag hat er viel zu tun: Ein Wagen mit 30 Paar Schuhen wartet auf ihn. «Am Morgen bereite ich als Erstes die verschiedenen Arbeiten vor», erklärt der Schuhmacher, «am häufigsten erneuere ich Absätze oder ersetze die Sohlen.» Dann nimmt er sich ein Paar nach dem anderen vor – am Abend ist der Wagen leer.
Faszinosum Schuhmacherautomat: ein Männchen, das pausenlos Nägel in einen Schuh schlägt. Der Automat steht im Schaufenster der Schuhmacherei Enge.
Die Liebe zum guten Schuh
Auf die Frage nach seinem speziellsten Exemplar nennt der junge Mann einen rot-grünen Schlupfhalbschuh mit einer roten Masche für den Sommer. «Dieser Schuh ist aus weichem Leder gefertigt und ganz leicht. Ausserdem kann ich barfuss rein.» In den Ferien trage er auch mal einen Turnschuh. Doch die meisten seiner rund 20 Paare seien englische Fabrikate. «Die Engländer stellen schlicht die besten Schuhe her.» Die besten Schuhe, das heisst für ihn: rahmengenähte Lederschuhe. Er selber beherrscht diese Machart auch, doch stellt er heute keine Massschuhe mehr her, denn: «Ich habe mit dem Reparieren mehr als genug zu tun.» Was auch bedeutet: «Ich kann gut davon leben.»
Der Schuhmacher öffnet sein Geschäft um 8 Uhr, doch manchmal erscheint der erste Kunde schon um 7.30 Uhr. Oder kurz vor Ladenschluss kommt noch jemand vorbei. Wie jene Frau, die gleich drei Paar Schuhe abholt. Sie ist Stammkundin. Es sind denn auch die Kunden, die Softics Augen zum Leuchten bringen: «Das Wichtigste für mich ist, dass ich es gut habe mit den Kunden.» Er bekomme Schuhe aus Bern zugeschickt, aus dem Aargau, aus der ganzen Schweiz. Warum wohl? Diese Frage beantwortet der Blick auf eine Bewertungsplattform im Internet, auf der seine Kundschaft schreibt: «Ganz grosse Klasse, vereint mit alter Schule. An Aufmerksamkeit nicht zu übertreffen. Kennt den Namen schon beim zweiten Besuch. Hohe Arbeitsqualität.»
Bei Alan Softic dreht sich wirklich alles um Schuhe. «Ich rede zu Hause sehr viel über Schuhe», sagt er lachend. «Abschalten ist richtig schwierig.» Damit er auch Kunden bedienen kann, die mit erstklassigen Schuhen zu ihm kommen, hat er zwei zusätzliche Geräte angeschafft: eine deutsche Doppelnähmaschine, mit der sich der Rahmen mit der Ledersohle verbinden lässt, sowie eine antike Reparaturnähmaschine. Bei Letzterer handelt es sich um eine fast 100-jährige Original-«Singer». «Wenn ich sie regelmässig öle, näht sie noch lange tadellos», sagt Softic, «die ist unverwüstlich.» Allerdings hat er einen Elektromotor eingebaut, das gute Stück war noch mit einem mechanischen Fusspedal versehen. Alle anderen Materialien habe er vom Vorgänger Erich Reh übernommen, der das Geschäft während 20 Jahren führte.
Abends steigt Alan Softic in sein Auto und fährt nach Hause. Im Schaufenster hämmert das Männchen weiter, pausenlos.