Ricardo Cabanas, Schweizer Fussballlegende
Volltreffer ins akademische Lattenkreuz
Ricardo Cabanas, Fussballlegende und ehemaliger Schweizer Nationalspieler, bevorzugt den Lehr- gegenüber dem Trainerstuhl. Mit dem «blickwinkel» spricht Cabanas über die Beweggründe, die ihn zu diesem «Transfer der anderen Art» bewogen haben und natürlich über seinen Heimatverein, den Grasshopper Club Zürich.
Erstmals nach fünf Jahren Medienabsenz spricht Ricardo Cabanas über seine fussballerische Vergangenheit und seine berufliche Zukunft.
Text GUSTAV AHMETI
Fotos SIMONE GLOOR
Ricardo Cabanas kommt mit einem breiten Lächeln im Gesicht auf die «blickwinkel»-Redaktion. Erstmals nach fünf Jahren Medienabsenz spricht er über seine fussballerische Vergangenheit und seine berufliche Zukunft. Auf dem Tisch des Sitzungszimmers liegt der erste Zeitungsartikel über Ricardo Cabanas, er datiert vom 10. November 1992. «Ricci» ist damals zarte 13 Jahre alt und soeben von YF Juventus Zürich, einem Lokalverein, in dem sein gleichnamiger Vater als Trainer amtet, zum Grasshopper Club Zürich gewechselt. Und obwohl er ihn erst seit Kurzem kennt, hat ihn sein damaliger Coach Marcel Koller für ein Porträt in der Zeitschrift «Schweizer Woche» zum Thema «Wunderkinder» vorgeschlagen. Die anderen drei Protagonisten waren Martina Hingis (später 1997 jüngste Weltnummer 1 im Frauentennis), Deborah Spiegel (Geigenspielerin und Balletttänzerin) und Andreas D. (hochbegabter Schüler der «neuen Schule Zürich).
Ricardo Cabanas wurde am 17. Januar 1979 in der Pflegerinnenschule Zürich geboren und verbrachte ab dem zweiten Lebensjahr an der Zentralstrasse im Zürcher Kreis 3 seine Kindheit. Geprägt von Pflichtbewusstsein und dem fleissigen Schaffen seiner Eltern, entwickelte sich der Sohn spanischer Einwanderer nicht nur zu einem talentierten Fussballer, sondern auch zu einem Musterschüler. «Ich ging wirklich gerne zur Schule, obwohl dies in meiner Jugend eine nicht immer populäre Aussage war», so Cabanas.
Neben der Entwicklung seiner fussballerischen Fertigkeiten und dem Unterricht blieb ihm nicht viel Zeit für weitere Freizeitbeschäftigungen. Während sich andere Jugendliche in der Pubertät mit Basteln am Mofa oder dem ersten Zug an einer Zigarette beschäftigten, ordnete das junge Fussballjuwel alles seiner künftigen Karriere unter. Seine Eltern seien ihm in dieser Zeit stets mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Klar, gerne hätte der junge Cabanas mit den Kollegen dem Zürcher Nachtleben gefrönt, da aber oft am Sonntag Hallenturniere stattfanden, musste er Prioritäten setzen.
Ricci betont rückblickend: «Ich möchte mich sicherlich nicht darüber beschweren, sondern weiss um die Annehmlichkeiten, die mir im weiteren Leben zuteilwurden.»
Der Weg zum Fussballprofi
1997 konnte Ricci mit dem GCZ-Juniorenteam den ersten Titel ergattern und mit seinen Teamkollegen – unter anderen Rainer Bieli, Boris Smiljanic, Bruno Berner, Felix Magro und Patrick Foletti – den Nachwuchscupfinal im altehrwürdigen Berner Wankdorf-Stadion gewinnen. Erwähnenswert insbesondere, weil diese Namen eine Dekade des Schweizer Fussballs prägten. In jüngster Vergangenheit sind etliche erfolgreiche Nachwuchskicker mit ähnlichen Voraussetzungen in der Versenkung oder ganz von der (Fussball-)Bildfläche verschwunden.
Ob es denn heute schwieriger sei, Fussballprofi zu werden? Seine Antwort lässt erahnen, weshalb er nach seiner Aktivkarriere den akademischen Weg jenem im Fussballbusiness vorzog: «Der Fussball hat sich vom Spielstil und von der Dynamik her weiterentwickelt, und auch die Übungseinheiten sind entsprechend angepasst worden. Der rein sportliche Druck auf die Spieler hat sich nicht im Wesentlichen verändert, der grösste Wandel ist vielmehr die Monetarisierung. Provisionen für Spielervermittler, Agenturen und Klubs haben den Sport grundlegend verändert.»
Das frühere Mäzenatentum, wie damals beim Grasshopper Club Zürich mit Heinz Spross und Erich Vogel oder beim Stadtrivalen FC Zürich mit Sven Hotz oder Edwin «Edi» Nägeli, wurde abgelöst durch Investorengruppen. Diese gewichten die Kapitalrentabilität um ein Vielfaches höher als das Wohl des einzelnen Spielers. Bezeichnend für diese Entwicklung ist Cabanas’ Erklärung dazu: «Den ersten Spieleragenten hatte ich anno 2003, kurz vor meinem ersten Wechsel ins Ausland (Anm. d. R.: EA Guingamp, französische Ligue 1, unter anderen mit Didier Drogba), notabene als gestandener Schweizer Nationalspieler mit knapp 24 Lenzen auf dem Buckel.»
2011, bei seinem Karriereende – damals war Cabanas GC-Chefcoach der U14- und U15-Junioren –, war diese Entwicklung schon so ausgeprägt, dass Jugendliche in der frühen Pubertät mit Verträgen von Spieleragenten geködert wurden. Demnach war es bereits vor zehn Jahren Usus, den unterschriftsberechtigten Eltern ein Handgeld und weitere Annehmlichkeiten für einen Vereinswechsel des Sprösslings anzubieten. Nicht weiter verwunderlich also, dass den Schweizer Fussballclubs die Identifikationsfiguren abhandenkommen. Sichtbar wird diese Veränderung insbesondere bei ausbleibendem Erfolg, der sich erwiesenermassen schneller als früher negativ auf das Zuschauerinteresse auswirkt.
Monetäre Reize und deren Auswüchse
Ricci bezeichnet sich selbst als sehr feinfühlig. Er lehnt sich zurück, nimmt einen Schluck Wasser. Dann erzählt er eine Anekdote aus dem Jahr 2009 im Gespräch mit seinem Mentaltrainer: «Es gibt den Ricci im Anzug, den alle kennen, der für ein SRF-Interview oder den ‹Blick› Rede und Antwort steht. Einen Cabanas in Jeans, für meine Kollegen. In der Trainerhose, für meine guten Freunde, und nur vier Personen – nämlich meine Frau, die beiden Kinder und ich – kennen jenen in der Unterhose.»
Auch im Gespräch wird diese Offenheit zunehmend spürbar. Ricci ist eine ehrliche Haut durch und durch, insbesondere wenn es um die im Profisport stets sensible Frage geht, weshalb er damals nach Frankreich und Deutschland wechselte. So sagt Ricci: «Für mich war das Geld der entscheidende Faktor, deshalb hat es mich wohl auch immer wieder in die Heimat gezogen», gibt er offen zu. Seinen Wurzeln in Zürich war er zu jeder Zeit stark verbunden. Das Auslandsengagement in Guingamp sei sehr wohl eine spannende und gute Erfahrung gewesen; grinsend legt er nach: «Es war das erste Mal, dass ich wirklich weg von zu Hause war! Allein mit meiner Frau in einer Kleinstadt irgendwo im Nordwesten Frankreichs. Wobei ich neben der Erweiterung meines Kulturhorizonts auch die französischen Sprachkenntnisse perfektionieren konnte.»
Aber, so hält er fest: «In Guingamp habe ich auch erfahren, was es bedeutet, Leistungsfussball zu leben. Wir spielten zu jener Zeit in der Ligue 1 und sogar im UEFA-Cup.» Rückblickend hätte er sich wohl noch etwas länger «durchbeissen» sollen, aber als der Anruf von GC kam, sei es um ihn geschehen gewesen. Selbstkritisch meint er auch, dass diese Heimatverbundenheit wohl der Grund gewesen sei, weshalb es nicht zur ganz grossen Karriere gereicht habe. Dennoch hätten beide Auslandserfahrungen zu einer erheblichen Marktwertsteigerung beigetragen, wenn er jeweils in die heimische Liga zurückkehrte. Keine Entwicklung, die sich exklusiv im Fussball abspielt – man kennt dies auch aus Bereichen der Privatwirtschaft, wo junge Talente nur durch einen Jobwechsel eine merkliche Gehaltssteigerung erzielen können.
Dass Ricardo Cabanas nie vollends der Verlockung des Geldes verfallen ist, zeigte sich bei seiner Rückkehr zum Grasshopper Club Zürich im Jahr 2007, als er einen massiv höher dotierten Vertrag des Stadtrivalen FC Zürich, insbesondere Handgeld für die Vertragsunterzeichnung, vorliegen hatte. Immer wenn Ricci über den Grasshopper Club Zürich spricht, funkeln seine Augen, und die Stimme wird emotionaler. Charakterstärke und Identifikation mit seinem Heimatverein führten dazu, dass er trotz finanzieller Einbusse dem Grasshopper Club Zürich die Treue hielt. Heutzutage selten gewordene Eigenschaften, die bei vielen Fussballfans für einen wehmütigen Blick zurück sorgen.
Osteonekrose im Knie
Osteonekrose, Loch im Knochen, so das harte Verdikt der medizinischen Abteilung nach einem Europa-League-Qualifikationsspiel gegen Steaua Bukarest im Jahre 2010. Kämpfernatur Ricci musste nach über einem Jahr Rekonvaleszenz einsehen: Eine Rückkehr als Spieler ist ausgeschlossen. Mit Cabanas verletzungsbedingtem Karriereende 2011 begann eine neue Zeitrechnung. Parallel zu seinem Engagement als Nachwuchscoach packte ihn abseits des Grüns der Ehrgeiz, und so absolvierte er die Aufnahmeprüfung für das Gymnasium. Nach bestandener Prüfung meisterte er ab Herbst 2011 berufsbegleitend die Erwachsenen-Matura. Dass der bereits in jungen Jahren als sehr guter Schüler bekannte Cabanas im Sommer 2015 mit hervorragenden Noten abschloss, versteht sich von selbst. Anschliessend gab er dem Fussballbusiness nochmals eine Chance und wurde Talentmanager in der Jugendabteilung des Vereins seines Herzens, dem Grasshopper Club Zürich.
Eine weitere Anekdote, die letztendlich zum (vorläufigen) Bruch mit dem Geschäft ums runde Leder führte, dreht sich um Lohnverhandlungen. Nicht, dass er mehr Geld gefordert hätte, nein, der Verein wollte seine Bezüge reduzieren, um mehr auf die Versicherung abzuwälzen, die zu dieser Zeit noch eine Teilsumme seiner Einkünfte überwies. Ricardo Cabanas dazu: «Ich hätte auch auf die gesamte Lohnsumme verzichtet.» Die mangelnde Wertschätzung und die Art der Kommunikation führten so jedoch zum Ende der Zusammenarbeit. Die Liebe und die Leidenschaft für den Verein seien heute noch ungebrochen, nur der gängigen Geschäftspraktiken sei er müde geworden, sagt der Ex-Profi.
Während des darauffolgenden Studiums in spanischer Literatur und allgemeiner Geschichte stellte er sich die Frage: «Will ich tagelang von zu Hause und der Familie weg sein, nur um weiter in der Branche zu verbleiben?» Die Antwort war klar: «Nein, denn obwohl ich das Fussballspielen sehr genossen habe, sind mir mittlerweile auch andere Werte wichtiger geworden.»
Von Asterix und Obelix zum Geschichtsstudium
Die Wahl seiner Studienrichtungen ist der Freude am Lesen und dem allgemeinen Interesse an Geschichte zu verdanken. In der frühesten Kindheit haben ihn Asterix und Obelix derart fasziniert, dass er schon damals mehr über das Römische Reich wissen wollte. Dieses Grundinteresse wurde während der Erwachsenen-Matura weiter verstärkt, und somit stand seine Ausrichtung fest. Da er sich aber nicht nur auf eine Richtung festlegen wollte, entschied er sich für spanische Sprach- und Literaturwissenschaft als zweites Hauptfach.
Er erinnert sich, dass ihm zu jener Zeit jemand gesagt hatte, Geschichtslehrer seien gefragt, Dozenten für spanische Sprachwissenschaft weniger. Wie er aber heute mit einem Augenzwinkern anfügt, verhalte es sich genau umgekehrt. Die Idee, Lehrer zu werden, sei während der Studienzeit gewachsen. Primär wollte Ricci diese Ausbildung absolvieren, um seinen persönlichen Wissensdurst zu stillen. Das Ziel, selbst zu unterrichten, entstand erst durch die vehementen Nachfragen in seinem Umfeld, das wissen wollte, wohin das Studium führen sollte. Fussball-Pauker sei er schon gewesen, und daher sei Gymnasiallehrer naheliegend gewesen. Ob er allerdings diese Richtung auch einschlägt, lässt er offen. «Ich kann mir gut vorstellen, an einer Schule zu unterrichten, die sich auf künftige Spitzensportler fokussiert, oder …», so fügt er mit einem verschmitzten Lächeln an, «ich werde eines Tages Präsident des Grasshopper Clubs Zürich.»