FAU Redaktion Werkschau Text

Kunsthandwerk

Die Magie der Glasperlenproduktion

Handgemachte Glasgegenstände üben eine besondere Faszination aus. Angela Meier hält dieses 5000 Jahre alte Kunsthandwerk in Ehren. Ihre Spezialität: Glasperlen.

Angela Meier bei der Glasperlenproduktion
Angela Meier stellt fantasievolle Schmuckstücke her. Reich wird sie damit nicht, aber glücklich.

Text, Fotos und Video NICOLE BIELANDER

Über eine Wendeltreppe steigt Angela Meier in ihr Atelier im Dachstock ihrer Eigentumswohnung in Winterthur hinauf. «Bei der Glasverarbeitung entstehen giftige Dämpfe», begründet die Mutter von zwei erwachsenen Kindern den Standort ihres Kreativrefugiums. «Hier oben kann ich gut lüften.» Die nüchterne Anmerkung kommt etwas unerwartet, denn die Glasveredelung impliziert eher klinische Reinheit denn den Ausstoss von Gefahrenstoffen beim Verarbeitungsprozess.

Gedanken über toxische Verbrennungsgase verpuffen augenblicklich: Edel schimmernde, handgemachte Glasperlen, in Holzkästen auf dem Fenstersims nach Farben sortiert, ziehen den Betrachter in ihren Bann. Die kleine Piratin im Kopf setzt sogleich zum Entern an. Diesen farbenfrohen, glänzenden Schatz will sie haben.

Liebe auf den ersten Blick
Seit 2004 stellt die einstige Handarbeitslehrerin Glasperlen her. Sie stiess durch Zufall auf dieses Werkmaterial. Damals arbeitete Angela Meier in einem Teilzeitpensum bei der zehnmal pro Jahr erscheinenden Handarbeitsfachzeitschrift «manuell», berichtete über Trends und stellte Kreativanleitungen her. Eines Tages fragte ein Hotel am Vierwaldstättersee die Redaktion für eine Publireportage über dessen Angebot in kreativem Gestalten an und lud das vierköpfige Redaktionsteam zu einer Kursteilnahme ein. Terminlich passte dem «manuell»-Team nur ein Kurs für Hobbyglaskünstler. Angela Meier fing sofort Feuer. «Ich hatte das Gefühl, das Material hätte auf mich gewartet. Es war Liebe auf den ersten Blick», erinnert sie sich.

Angela Meier besuchte weitere Kurse in der Schweiz, in Dänemark und in Deutschland. Sie nahm auch an Weiterbildungen von amerikanischen Glaskünstlern teil und bezog zusätzlich Anleitungen aus amerikanischen Foren, um ihre Fertigkeiten zu verfeinern. Die dortige Glaskunstszene gilt als besonders hochstehend. Ausschuss produzierte sie von Anfang an sehr wenig. «Eine meiner Stärken liegt darin, dass ich mit vielen Materialien intuitiv zurechtkomme», sagt sie.

Glasperlenproduktion: Angela Meier

Die Produktion von Glasperlen empfindet Angela Meier als eine Art Meditation.

Hoher Spassfaktor
Angela Meier, die nach der Geburt ihres zweiten Kindes ihren Lehrerinnenberuf aufgegeben hatte, wollte das Glaskunsthandwerk nicht nur hobbymässig ausüben. Sie machte sich als Einzelunternehmerin selbständig und gab ihren Redaktionsjob auf. Ihre Familie unterstützte ihre Entscheidung.

Reich wird sie mit ihrer Glaskunst nicht. «Ich veranschlage 50 Franken pro Stunde, die Hälfte als Gehalt, der Rest deckt die Auslagen», sagt sie. Dafür sei sie ihre eigene Chefin und arbeite mit hohem Spassfaktor. «Ich weiss, dass ich privilegiert bin, weil mein Mann mich unterstützt.»

Kopieren verpönt
Angela Meier hat sich auf Glasperlen spezialisiert und ihren eigenen Stil entwickelt. «Kopieren ist in der Szene verpönt.» Die Herstellung einer Glasperle dauert fünf Minuten bis eineinhalb Stunden, bei besonders kunstvollen Motiven auch länger. Die Glaskünstlerin experimentiert auch mit anderen Formen, etwa Miniaturfläschchen oder Glasbüsten. Ihre Ideen entstehen meist im Kopf.

Kunsthandwerk mit Tücken
Angela Meier verkauft ihre Perlen selber, überwiegend auf Märkten. Ganz besonders schätzt sie das Ambiente von historischen Märkten, auf denen sie – entsprechend gekleidet – Glasperlen nach überlieferten Entwürfen, mit einem tönernen, feuerspeienden Fabelwesen, vor den Augen der Marktbesucher produziert. Auf Märkten im benachbarten Ausland ist sie nicht anzutreffen. Der Zollaufwand schreckt sie ab. «Bei der Einreise müsste ich wegen der Mehrwertsteuer vorab alle Perlen inventarisieren, bei der Ausfuhr noch einmal», erklärt sie.

Die humorvolle Künstlerin führt als weiteres Standbein fünf bis sechs Kreativkurse im Jahr in ihrem Atelier oder bei anderen Glaskünstlern durch. Die Gilde ist vernetzt. Sie erstellt und verkauft zudem themenspezifische Schulungsunterlagen für Anfänger und Fortgeschrittene, etwa über die Herstellung von Perlen mit Silberglas.

So schön das Glaskunsthandwerk auch ist, die relativ hohen Ausrüstungs- sowie Materialkosten und die starke Konkurrenz machen vielen Künstlern zu schaffen. Handgefertigte Glasperlen kosten zudem mehr als die derzeit trendigen, glamourösen Statement-Ketten von der Stange. «In den letzten zwei, drei Jahren haben viele wieder aufgehört», sagt die Kreativfrau.

Kaum Geld für Werbung
Angela Meier hat sich in den letzten Jahren einen treuen Kundenstamm aufgebaut. Meist verkauft sie Einzelstücke als Kettenanhänger oder Ringe, bei denen sich die Glasmedaillons austauschen lassen. Sie stellt im Auftrag von Museen auch Glasrepliken nach historischen Vorbildern her, etwa Ketten mit maisgelben, kobaltblauen oder roten, schlicht gemusterten Perlen, die im Mittelalter traditionelle Grabbeigaben waren.

Viel Geld für Werbung kann die Kunsthandwerkerin nicht aufwenden. «Meine beste Werbeträgerin ist meine Mutter», sagt die bodenständige Perlenmacherin und lacht. Deren Freundinnen sind so begeistert von den Perlen, dass Angela Meier alle drei bis vier Jahre eine «Schmuckparty» bei ihrer Mutter veranstaltet. So geht es natürlich auch.