FAU Redaktion Werkschau Text

«Death Games»

Mörderische Kinderspiele in den Tiefen der Gesellschaft

Kinderspiele, Glücksspiele, Wettkämpfe, Reisen auf abgelegene Inseln – und alle sind tödlich. Das «Death Game»-Genre hat mit «Squid Game» weltweit massiven Erfolg gefunden. Doch was hebt das Genre ab? Warum ist es so spannend? Was fasziniert daran?

SquidGame
Szene aus der Serie «Squid Game». Foto: Noh Juhan | Netflix

Zwölf Tische in einer grossen Halle, auf ihnen je ein Schachbrett. Je zwei Leute sitzen sich gegenüber. Sie spielen gegeneinander. Jeder von ihnen trägt ein Halsband. Schachmatt. Das erste Spiel findet seinen Sieger – und das Halsband des Verlierers explodiert. Panik bricht aus, die Teilnehmer versuchen zu fliehen, doch es gibt kein Entkommen.

In ähnlichen Situationen finden sich die Teilnehmer der grausamen Todesspiele in der südkoreanischen Serie «Squid Game» wieder. Die insgesamt 456 finanziell schwer verschuldeten Männer und Frauen werden durch Versprechen eines riesigen Geldpreises in einen Wettbewerb gelockt. Bei dem müssen sie diverse Kinderspiele gewinnen, um den begehrten Preis zu erhalten. Was ihnen nicht klar wird, bis es für viele von ihnen bereits zu spät ist: Sollten sie bei den Spielen scheitern, verlieren sie nicht nur den Preis, sondern auch ihr Leben.

Der Netflix-Megahit von Regisseur Hwang Dong-hyuk wurde bereits in den ersten 28 Tagen nach Veröffentlichung für über 1,6 Milliarden Stunden konsumiert und konnte sich somit schnell den Platz als bisher grösster Erfolg auf dem Streaming-Dienst sichern. Sowohl eine zweite Staffel als auch eine Umsetzung zu einer Realityshow sind inzwischen bestätigt.

Der Tod kommt selten allein
Das Konzept dieser Todesspiele ist spannend und fühlt sich originell an. Jedoch ist es eigentlich nichts Neues: Besonders im asiatischen Bereich mangelt es nicht an Vertretern des Genres. So beispielsweise die japanische Serie «Alice in Borderland» – auch eine Netflix-Serie und somit quasi ein Vorgänger für «Squid Game» –, in der die Charaktere in einer Art Parallelweltversion Tokios landen und ebenfalls gezwungen werden, sadistische Spiele zu spielen, die sehr wohl mit ihrem Tod enden können.

Auch der japanische Film «Battle Royale», in dem Schüler dank einer gesetzlichen Massnahme gegen Jugendkriminalität auf einer Insel ausgesetzt und gezwungen werden, sich gegenseitig umzubringen, bis nur eine Person übrig ist, stellt eine Art dieser Todesspiele dar. «Battle Royale» diente auch als Inspiration für «Squid Game» sowie als Inspiration für das heutzutage sehr populäre «Battle Royale»-Computerspielgenre. Mit Spielen wie «Fortnite» und «Apex Legends» wird das Konzept inzwischen auch im virtuellen Bereich überaus erfolgreich durchgesetzt – in diesem Fall für die Spieler natürlich freiwillig und ohne echte Lebensgefahr.

Im Westen bekannter, bedient sich die Film- und Buchtrilogie «Die Tribute von Panem» desselben Konzepts. Hier werden je zwölf dem Staat Panem angehörige Jungen und Mädchen zwischen 12 und 18 Jahren dazu gezwungen, an den jährlichen Hungerspielen teilzunehmen. In diesen sollen sie repräsentativ für ihren Distrikt ebenfalls auf einer Insel um ihr Überleben kämpfen, bis nur einer zurückbleibt. Ihr Ziel: ihrem Distrikt ein Jahr lang ausreichende Lebensmittelversorgung zu gewährleisten

An Vertretern des Genres mangelt es also definitiv nicht. Aber was hebt das Genre überhaupt ab? Was macht es so spannend? Was fasziniert daran so sehr?

Stephen King: Der westliche Todesspiel-Vorreiter

Ein weiterer und wahrscheinlich einer der ältesten westlichen Vertreter des Genres ist Stephen Kings 1982 geschriebener Roman «Menschenjagd». Dieser spielt in einer wirtschaftlich zerstörten Zukunft im Jahre 2025 und dreht sich um den arbeitslosen Familienvater Ben Richards, der zur Finanzierung der Medikamente seiner schwerkranken Tochter an der Gameshow «Menschenjagd» teilnimmt. In dieser soll er durch das Land gejagt werden und kann mehr Geld gewinnen, je länger er überlebt – bis zum grossen Preis von einer Milliarde Dollar, sollte er 30 Tage lang überleben. Kings Roman wurde 1987 als Hollywood-Produktion verfilmt. Arnold Schwarzenegger spielt im Film mit dem deutschen Titel «Running Man» die Hauptrolle. Der Schriftsteller fand jedoch keinen Gefallen daran, da die Filmhandlung von der des Romans stark abweicht und Arnold Schwarzenegger seinem Hauptcharakter so sehr entfernt sei wie überhaupt möglich.

Starke Charaktere, geringe Chancen
Ob die Charaktere sich mehr oder weniger freiwillig in diesen Todesspielen verirren wie in «Squid Game» und «Menschenjagd», ob sie entführt und dem Tod ausgesetzt werden wie in «Battle Royale» oder ob sie durch eine höhere Macht der grausamen Situation ausgesetzt werden wie in «Alice in Borderland» und den «Tributen von Panem»: Unmittelbar wird dem Zuschauer klar, dass geistig schwache Leute ohne viel Glück diese Situationen nicht lange überleben würden. Wer lebendig aus der Situation entkommen will, muss einen kühlen Kopf bewahren können und sich einfallsreich zeigen.

Das zeigt sich oft schnell – der erste Tod in «Squid Game» löst eine Massenpanik aus, und letztendlich verbleiben nur 201 der anfänglich 456 Spieler. «Battle Royale» sieht ebenfalls bereits in den ersten sechs Stunden zwölf Tote; vier davon per Suizid. Die Spieler werden an den emotionalen Abgrund getrieben; üblicherweise sind sie normale Alltagsmenschen wie die meisten Zuschauer. Wer übrig bleibt, muss Charakterstärke beweisen und wird sich somit schnell im Zuschauerherz ansiedeln – bis zu seinem fast unausweichlichen Untergang.

Denn egal, wie stark die Charaktere auch sein mögen: Am Ende soll in diesen Spielen oft nur ein Sieger überleben, und ein anderer Ausweg existiert üblicherweise nicht – oder es ist den Charakteren nicht wert, diesen Ausweg zu nehmen, wie in «Squid Game». Der Zuschauer mag sich vielleicht erhoffen, es gebe einen Weg daraus, aber selbst dann werden nur die wenigsten Charaktere diesen Weg auch entdecken. Der Tod schaut ihnen stets über die Schulter, und jeder Schritt kann ihr letzter sein. Ob durch die Spiele oder durch möglichen Betrug durch Mitspieler, die ihr eigenes Überleben über ihr Team, wenn sie eines geformt haben, stellen. Die Spannung wird stets aufrechterhalten, egal, worum es sich bei den Spielen handelt.

Am Abgrund der Gesellschaft
Der Rahmen dieser Geschichten fasziniert auch. Solche Todesspiele können repräsentativ für die Gesellschaft an ihren tiefsten Punkten wirken; «Squid Game» wurde stark durch Dong-hyuks eigene Schwierigkeiten 2008 in einer koreanischen Schuldenkrise inspiriert. Im darauffolgenden Jahr brachte er auch zumindest die erste Version der Geschichte zu Papier, die zur damaligen Zeit jedoch nur auf Ablehnung stiess.

Der Klassenkampf und die Ungleichheit werden in «Squid Game» auch durch die Spiele selbst symbolisiert. Vor einigen der Spiele erhalten die Teilnehmer eine Wahl, die ihnen im folgenden Spiel einen grossen Vor- oder Nachteil verschaffen wird. Ihnen werden allerdings weder die Spielregeln noch Hinweise zur optimalen Wahl gegeben. Somit ist es für die meisten Teilnehmer reiner Zufall, wie gross ihre Erfolgschancen sind. Wer zufälligerweise die optimale Wahl für das Spiel trifft, hat viel bessere Chancen, dieses zu überleben – nicht unähnlich den Menschen, die in den Reichtum geboren werden und sich somit nie mit den Schwierigkeiten der Armut auseinandersetzen müssen.

Gleichzeitig sind derartige Spiele nicht nur in der Fiktion zu finden: Die reale Umsetzung der Spiele in «Squid Game» wird nicht nur von Netflix organisiert, sondern wurde auch bereits zuvor durch den Youtuber MrBeast durchgeführt – nur ohne den tödlichen Aspekt. Auch die amerikanische Realityshow «Survivor» setzt bereits seit dem Jahre 2000 in mittlerweile 42 Staffeln regelmässig eine Gruppe von Menschen an abgelegenen Orten aus, an denen sie durch ihre reinen Überlebensfähigkeiten sowie diverse Wettkämpfe entscheiden, wer von ihnen nach üblicherweise maximal 39 Tagen als Letzter eine Million Dollar nach Hause nehmen darf. Tödlich sind diese Veranstaltungen für uns nicht – jedoch befinden wir uns nur wenige Schritte davor, diese fiktiven Universen zur Realität zu machen.

Ein wenig Blut tut gut
Auch bezüglich der Geschichte selbst werfen die Todesspiele oftmals Fragen auf: Wer steckt dahinter und warum? Wird gegen die Situation etwas unternommen, oder werden die Opfer ihrem Schicksal überlassen? Warum stossen diese moralisch nicht zu rechtfertigenden Spiele in der Gesellschaft teils sogar auf Akzeptanz und gesetzliche Unterstützung? Was verbindet die Spieler? Aus welchem Grund fühlen sie sich verpflichtet, weiterzumachen, sofern es einen Ausweg gäbe? Wer überlebt? Nicht jede Serie ist darauf aus, all diese Fragen zu beantworten. Wenn sie allerdings darauf eingeht, führt es oft zu einer sehr interessanten Geschichte, in der die Geheimnisse spannend nach und nach aufgedeckt werden – oder auch nicht.

Der Schockfaktor ist ebenfalls massiv. Besonders die asiatischen Produktionen schrecken nicht davor zurück, explizite Brutalität in diese Serien einfliessen zu lassen – und sehr häufig. Ob das gut oder schlecht ist, ist letztendlich Geschmackssache, aber es lässt sich nicht abstreiten, wie sehr die pure Hemmungslosigkeit einen starken Eindruck hinterlässt. Niemand wird hier geschont, weder der Zuschauer noch die Charaktere. Dies kann wie zu viel sinnlose Gewalt wirken. Andererseits kann die Gewalt aber stark die Unbarmherzigkeit der Situation unterstreichen. Leider kann die Handlung aber auch dazu führen, dass eigentlich interessante Charaktere viel zu früh sterben.

Wer nicht hart im Nehmen ist, kein Blut sehen kann oder der expliziten Darstellung von Gewalt gegenüber sehr negativ eingestellt ist, sollte sich also vom Todesspiel-Genre fernhalten. Wer allerdings damit umgehen kann und gegenüber asiatischen Produktionen, die von den klassischen Hollywood-Produktionen stark abweichen, offen ist, darf sich mit gutem Gewissen in die Welt der Todesspiele hineinwagen. Ihn erwarten starke, einfallsreiche Charaktere am emotionalen Abgrund und interessante, teils mysteriöse Geschichten, in denen die Spannung konstant spürbar ist. Geschichten, die schlussendlich mehr nachzudenken geben, als manch einer vermuten lässt.

15 Vertreter des «Death Game»-Genres
Squid Game (2021)
Serie
Regie: Hwang Dong-hyuk
 
Alice in Borderland (2020)
Serie
Regie: Shinsuke Sato
Originalautor: Haro Aso
 
Battle Royale (2000)
Film
Regie: Kinji Fukasaku
Originalautor: Koushun Takami
 
As The Gods Will (2014)
Film
Regie: Takashi Miike
Originalautor: Muneyuki Kaneshiro
 
Saw (2004)
Film
Regie: James Wan
 
Cube (1997)
Film
Regie: Vincenzo Natali
 
Die Tribute von Panem (2012)
Film
Regie: Gary Ross
Originalautor: Suzanne Collins
 
Running Man (1987)
Film
Regie: Paul Michael Glaser
Originalautor: Stephen King
 
Kaiji: Ultimate Survivor (2007)
Anime
Regie: Yuzo Sato
Originalautor: Nobuyuki Fukumoto
 
Future Diary (2011)
Anime
Regie: Naoto Hosoda
Originalautor: Sakae Esuno
 
Liar Game (2005)
Manga
Autor: Shinobu Kaitani
 
Danganronpa (2010)
Game
Leitender Entwickler: Kazutaka Kodaka
 
Zero Escape (2009)
Game
Leitender Entwickler: Kotaro Uchikoshi
 
The World Ends with You (2007)
Game
Leitender Entwickler: Tatsuya Kando
 
Manhunt (2003)
Game
Studio: Rockstar North