Ken Mogi: «Ikigai»
Fünf Säulen für die Selbstfindung
Die japanische Lebensphilosophie «Ikigai» als Allerweltsmittel für gestresste Berufsleute und Anleitung für ein langes Leben? Buchautor Ken Mogi erklärt anhand zahlreicher detaillierter Beispiele, wie Ikigai Erfüllung, Zufriedenheit und Achtsamkeit im Leben vermitteln soll.
Ausgeglichenheit, Bescheidenheit, Demut und Respekt seien die Schlüssel zu Ikigai, so Autor Ken Mogi.
Text STEFAN ZÜGER
«Ikigai ist der Grund, morgens aufzustehen», proklamiert Kenichirō (Ken) Mogi in seinem neuesten Buch «Ikigai – die japanische Lebenskunst». Auf 175 Seiten führt der promovierte Neurowissenschaftler und Jurist den Leser in das japanische Ethos der Entschleunigung und Selbstfindung ein: «Wie kann ein Individuum mit einzigartiger Persönlichkeit mithilfe von Ikigai Nachhaltigkeit im eigenen Leben verwirklichen – in einer Welt, die immer versessener auf Innovationen ist?»
Mogi zeigt auf der Basis der fünf Säulen «Klein anfangen», «Loslassen lernen», «Harmonie und Nachhaltigkeit leben», «Die Freude an kleinen Dingen entdecken» und «Im Hier und Jetzt sein» anhand von zahlreichen Beispielen aus der Geschichte Japans auf, was Ikigai ist und wie es den Menschen zur Selbstfindung führen soll. So lernt der Leser beispielsweise den Sushi-Meister Jiro Ono kennen, der mit 92 Jahren immer noch täglich in der Küche seines Restaurants steht und das beste Sushi der Welt zubereiten will. Im Laufe seines langen Lebens hat er die Zubereitung des berühmtesten japanischen Gerichts perfektioniert – davon liess sich auch der ehemalige US-Präsident Barack Obama überzeugen. Nicht der Ruhm oder die Aussicht auf Einkommen treiben ihn dabei jeden Tag aufs Neue an, sondern der Wille, immer wieder das beste Sushi herzustellen.
Der Leser lernt auch die Legende der Sternenschalen kennen. Wenn der Betrachter in eine dieser aussergewöhnlichen Teeschalen aus dem 14. Jahrhundert schaut, erblickt er in ihrem Inneren eine ganze Galaxie mit zahllosen Sternen. «Die Erschaffung einer Sternenschale hat sich in Japan zur Leidenschaft (…) einiger berühmter Keramiker entwickelt. Sie lieben diese kostbare Schale so sehr, dass ihnen die Reproduktion zur lebenslangen Passion geworden ist», schreibt Mogi. Heute existieren noch drei Originalschalen; der Wissenschaft ist es bis heute nicht gelungen, die genaue Zusammensetzung des Materials und das Herstellungsprozedere zu bestimmen. Auch deshalb machen es sich nicht wenige japanische Töpfer zur ewigen Lebensaufgabe, eine neue Sternenschale herzustellen.
Ken Mogi
«Ikigai – die japanische Lebenskunst»
Originaltitel: «The little book of Ikigai. The essential Japanese way to finding your purpose in life»
DuMont Buchverlag, Köln, 2019
Übersetzung: Sofia Blind
175 Seiten, Fr. 23.90 bei Ex Libris resp. Fr. 29.90 bei Weltbild
ISBN: 978-3-8321-9899-2
Von der Antike in die Neuzeit
Ken Mogi ist aber auch auf der Höhe der Zeit und weiss neuzeitliche Analogien wie die Entstehung japanischer Anime-Zeichentrickfilme oder die Herstellung japanischen Whiskys geschickt einzuflechten. Die vielen Beispiele beeindrucken und wecken den Wunsch nach eigener Selbstfindung, insbesondere in einer Zeit, in der das Hamsterrad immer schneller dreht und sich der Wunsch nach Ausgeglichenheit, Harmonie und Ruhe immer öfter in den Vordergrund drängt.
Der Autor zeigt auf, dass Bescheidenheit, Demut und Respekt die Schlüssel zu Ikigai sind. So haben sich die Akteure in Mogis Buch alle der Perfektionierung ihrer Arbeiten verschrieben. Lohn, Ruhm, Rentabilität oder gar Profit sind für diese Personen gänzlich uninteressant. Diese Haltung soll zu Ikigai führen, wobei Selbsterkenntnis und Akzeptanz des eigenen Ichs die Voraussetzungen dafür bilden.
Wer empfänglich für fernöstliche Kulturen und Philosophien oder auf der Suche nach einem Weg zu einem erfüllten Leben ist, fühlt sich von diesem Buch rasch angesprochen und taucht gern hinein. Am Schluss fordert Mogi seine Leser auf: «Finden Sie Ihr eigenes Ikigai.» Wie das allerdings in der Praxis genau anzustellen ist, lässt der Autor offen.