Fotoausstellung: Gertrud Voglers Blick auf die bewegten 1980er
Tränengas, Pflastersteine und Ironie
Das Zentrum Architektur Zürich (ZAZ) zeigt eine grössere Einzelausstellung von Gertrud Voglers umfassendem fotografischem Werk. Im Fokus stehen Zürichs unruhige Zeiten zwischen 1977 und 1993, welche die verstorbene Fotografin mit viel Ironie dokumentierte.
Besetzt und autonom: das AJZ im April 1981
Text SONJA FAVRE
Wasserwerfer unter der heimeligen Weihnachtsbeleuchtung an der Bahnhofstrasse, feine Damenpumps neben revoltierenden Rollschuhen, Lust und Frust am Allmendfest. Das Boulevardblatt «Blick» kostete 60 Rappen, und das Opernhaus bekam 60 Millionen Franken. Der «Tages-Anzeiger» klagte: «Wieviel hält der Zürcher noch aus?» Und um 23.30 Uhr war Sperrstunde. Das waren die frühen 80er-Jahre in Zürich. Und mittendrin war die Fotografin Gertrud Vogler.
Über drei Jahrzehnte dokumentierte Gertrud Vogler fotografisch wichtige soziale und gesellschaftliche Fragen der Schweiz und vor allem der Stadt Zürich. Die Fotografin, geboren 1936, starb vor zwei Jahren in Zürich. Der Alltag interessierte Vogler, nicht Dinge und Personen, die schon hinlänglich fotografiert worden waren. Sie war freischaffende Fotografin ab den 70er-Jahren und kam Anfang der 80er-Jahre zur gerade neu gegründeten Wochenzeitung «WOZ» als Bildredaktorin und Fotografin. Mit diesem Auftrag begab sie sich immer wieder in den Brennpunkt des Geschehens. Zürich war zu dieser Zeit im Wandel. Von einer Industriestadt veränderte sie sich hin zu einer aufstrebenden Finanzmetropole. Die Konflikte innerhalb der sozialen Schichten der Stadt waren damit vorprogrammiert: Immobilienspekulationen, Verdrängung der Arbeiterschicht, einseitige Vergabe von Subventionen, Verwehrung von gesellschaftlichen und kulturellen Freiräumen durch eine konservative, repressive und wirtschaftsorientierte Politik. Die Strasse rief zum Kampf.
Gertrud Voglers Fotografien zeigen den erbitterten, aber auch kreativen und lustvollen Kampf für ein alternatives Leben in dieser Stadt. Sie dokumentierte die verschiedenen grossen und kleine Aspekte mit engagierter und sensibler Kamera, erfasste die kleinen, ironischen Schwingungen wie auch die tragischen Momente. Manch eine und einer, die oder der diese Zeit selbst miterlebt hat, wird sich dorthin zurückversetzt fühlen. Hört wieder die Schreie und Parolen, das Krachen der Pflastersteine. Riecht wieder das Tränengas, fühlt die brodelnde Atmosphäre. Informative Texttafeln begleiten die Schau und geben eine gute Einordnung der Themengebiete, erhellen die historischen Zusammenhänge. «Zärtlichkeit und Zorn» steht einmal an einer Graffitiwand. Davor ein Bewegter in friedlichem Schläfchen nach ausgetragener Schlacht. Ironischer konnten diese Gegensätze in den 80ern fotografisch wohl kaum dokumentiert werden.