Melanie Metzenthin «Die Hafenschwester – Als wir zu träumen wagten»
Die Hafenschwester, das Symbol des hamburgischen Frauenrechts.
Die Trilogie «Die Hafenschwester» erzählt die Geschichte einer starken Frau in starren, von Männern geprägten Strukturen. Das Werk entführt den Leser in die Zeit des Beginns der Frauenbewegung in Deutschland und beleuchtet die teilweise unmenschlichen Lebensbedingungen der Ärmsten.
Badeenten stellen die Protagonisten des historischen Romans dar. Der Leuchtturm symbolisiert die Aussicht auf den Hamburger Hafen.
Melanie Metzenthin, Die Hafenschwester, Band 1 (S. 369)
Text und Foto CHRISTINA HOCHSTRASSER
Die Geschichte führt ins Hamburger Gänge Viertel am Ende des 19. Jahrhunderts. Die Hauptfigur Martha ist 14 Jahre alt, als ihre kleine Schwester an Cholera erkrankt. Die Zahl der Infizierten und Toten steigt innerhalb kurzer Zeit in besorgniserregende Höhen. Als auch Marthas Mutter erkrankt, pflegt Martha sie liebevoll, kann sie aber nicht retten. Ihr Vater beginnt zu trinken, sodass kein Geld mehr für die Familie bleibt. Um für die Familie zu sorgen, bewirbt sich Martha als Krankenwärterin am St. Georg Hospital in Hamburg. Ihre Fähigkeiten fallen bald einem jungen Arzt auf, der sich für sie einsetzt und ihr eine richtige Lehrstelle am Eppendorfer Krankenhaus vermittelt.
Überzeugt mit Charakteren und historischen Fakten
Martha erhält einen Platz bei den Erika-Schwestern, der eigentlich nur Töchtern aus gutem Hause zusteht. Und so erlebt Martha viel Missgunst, weil sie als eine junge Frau aus dem Gänge Viertel dieselben Chancen erhält.
Die Beschreibungen der schwierigen hygienischen Verhältnisse zeigen dem Leser ein unverfälschtes Bild der damaligen Zeit.
Martha ist ein starkes Mädchen, das sich aus seiner Not heraus entwickelt und zu einer engagierten jungen Frau heranwächst. Während dieser Zeit schliesst Martha Freundschaften, erfährt aber auch Feindschaften, die sie durch den gesamten Roman begleiten.
Martha mag anfangs ein wenig zu gutmütig erscheinen, weil sie immer freundlich, ehrlich und zuvorkommend ist. Aber das ändert sich im Laufe der Geschichte, als auch sie in der einen oder anderen Situation zu zweifelhaften Mitteln greift, um sich gegen Intrigen durchzusetzen. Und nicht immer geht alles gut aus. Geschickt verknüpft die Autorin historisch belegte Begebenheiten wie die Cholera und den grossen Hafenarbeiterstreik von 1896 mit einer fiktiven Handlung. Neben den fiktiven Charakteren baut die Autorin auch historische Persönlichkeiten geschickt ein, wie die Frauenrechtlerin Lida Gustava Heymann oder den Werftbesitzer Hermann Blohm.
Unterhaltend und nachdenklich
Das Buch ist sehr lebendig erzählt – der Leser spürt den Enthusiasmus der Autorin, die selbst aus Hamburg stammt, für die Geschichte. Sie schafft es, sowohl ein historisches Gefühl zu erzeugen als auch leicht und locker durch die Geschichte zu führen. Das Buch wird nie langweilig, was sowohl der Vielseitigkeit der Charaktere als auch dem vielfältigen Geschehen zuzuschreiben ist. «Die Hafenschwester» ist für Melanie Metzenthin nicht nur aufgrund ihrer Herkunft ein besonderes Werk. Spätestens im Nachwort erfährt der Leser, dass diese Geschichte einigen Lebensabschnitten ihrer Urgroßmutter Martha nachempfunden ist. Die lebte zur selben Zeit wie Martha, überlebte ebenfalls die Cholera-Epidemie, arbeitete aber als Weißnäherin. Ende des vorletzten Jahrhunderts herrschte eine Zeit des Umbruchs und des Umdenkens. Die Gesellschaft ist im Aufbruch, denn die Schere zwischen Arm und Reich wurde immer grösser. In der Mitte des Romans nimmt die politische Sicht viel Raum ein. Wer sich einen Funken Liebe wünscht, der wird ebenfalls nicht enttäuscht. Zwar ist dieses Buch alles andere als ein Liebesroman. Aber ja, das Herz kommt nicht zu kurz.
Der Schreibstil der Autorin ist fesselnd, atmosphärisch, und das Buch liest sich wunderbar. Die bildhafte Beschreibung der Stadt Hamburg lässt das Gänge Viertel und den Hafen ebenso lebendig werden wie die Figuren. Sie wirken glaubhaft, und der Leser und Leserin fühlen sich ihnen nahe. Die politischen und historischen Begebenheiten wurden akribisch recherchiert. Die eigenen medizinischen Kenntnisse der Autorin sind wunderbar integriert.
Das Buch ist ein wundervoller Auftakt der Hamburg-Reihe von Melanie Metzenthin, der die Leser in das Hamburg des vorletzten Jahrhunderts katapultiert und deren Protagonisten man gerne begleitet. Die interessanten Themen rund um die Cholera-Epidemie und den Kampf der Armen um mehr Rechte und Lohn geben der Geschichte rund um Marthas Leben noch mehr Tiefe. Der Roman kann sowohl unterhalten als auch nachdenklich stimmen. Vor allem in Bezug auf die damaligen Lebensumstände vieler Familien, sodass sich die Leserschaft am Ende der Lektüre glücklich schätzen kann, in der heutigen Zeit zu leben.
Fotos zur Verfügung gestellt von Melanie Metzenthin
Melanie Metzenthin, Die Hafenschwester, Band 1 (S. 288)
Melanie Metzenthin
Die Autorin wurde 1969 in Hamburg geboren, wo sie auch heute noch lebt und als Fachärztin für Psychiatrie arbeitet. Mit der Vergangenheit ihrer Heimatstadt fühlt sie sich ebenso verbunden wie mit der Geschichte der Medizin, was in mehr als einem Dutzend ihrer Romane zum Ausdruck kommt. «Die Hafenschwester – Als wir zu träumen wagten» ist ihr erster Roman im Diana Verlag und der Auftakt zu einer Trilogie.