Rafik Schami: «Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte»
Rafik Schamis persönlichster Roman
Den Schock seines Lebens erfährt der siebenjährige Autor 1953 mit seinem Grossvater auf einem Flohmarkt in Damaskus. Eine Frau verkauft dort ihren alten Mann, weil sie genug hat von seiner Wortlosigkeit. Worauf der Knabe den festen Entschluss fasst, Erzähler zu werden. Rafik Schami nimmt Lesende mit Humor auf seine Lebensreise.
Wer erfahren möchte, weshalb die Radiosendung aus 1001 Nacht zu hohem Kaffeeverbrauch in der Familie des Buchautors führten, liest die Biografie des in 22 Sprachen übersetzten Erzählers und promovierten Chemikers. Überraschende Wendungen garantiert.
Besonders augenöffnend – oder ohrenerhellend – präsentiert sich neben der Flohmarktgeschichte einer der zahlreichen Exkurse in die Kindheit des Autors im Kapitel «Sheherasad, meine Mutter und ich». 1001 Nächte lang weckt die Mutter ihren Sohn Rafik punkt elf Uhr nachts. Gebannt lauschen sie Abend für Abend im Radio der Spezialsendung mit der Erzählerin Sheheresad.
Ein Radio mit hohem Kaffeeverbrauch
Von diesen nächtlichen Höreskapaden darf der mundfaule Vater von Rafik nichts erfahren. So mürrisch und geizig der Hausherr auch erscheint, dumm und taub ist er nicht. Besagtes Radio hat der Vater seiner Ehefrau geschenkt, kurz nachdem sein Sohn mit dem Grossvater vom Flohmarkt nach Hause kam und seine Mutter fragte: «Können wir nicht Papa auf dem Flohmarkt verkaufen, mit dem Geld Grossvater kaufen und vom Rest ein schönes Radio dazu?» Keine Woche später stand das zu damaligen Zeiten sehr wertvolle Rundfunkmöbel im Wohnzimmer der Familie Schami. Dass das Radio fortan Verwandte und Nachbarn zum geselligen Kaffeeklatsch mit Musik und Geschichten anzog, hatte der Vater nicht bedacht. «Das einzige Radio, das einen höheren Kaffee- als Stromverbrauch hat», beklagte er sich.
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Sprich, damit ich dich sehe
Wer eine lineare Biografie des syrisch-deutschen Autors erwartet, könnte enttäuscht werden. Wer hingegen erfahren möchte, wie und weshalb Rafik Schami Erzähler wurde, wird auf eine aussergewöhnliche Märchenreise in seine Kindheit nach Damaskus mitgenommen. Schami spricht direkt zu seiner Leserschaft. Sein Rat: Sprich, damit ich dich sehe. Die arabische Kultur basiert viel mehr auf einer reichen Erzähltradition denn auf Bildern. In der Wüste flimmert das Auge der Beduinen in die Fata Morgana, wo sonst nichts anderes zu sehen ist als Sand. Schamis Band liest sich leicht wie ein phonetischer Kopfkino-Hybrid. Abwechselnd tanzend und hüpfend zwischen biografischen Anekdoten, Geschichten für Erwachsene gespickt mit bildhaften Szenen, Schalk und kurzen kulturwissenschaftlichen Exkursen bis in die Antike der Rhetorik von Aristoteles. So verschachtelt wie die engen Gassenwindungen auf dem orientalischen Flohmarkt, so beweglich in der Vorstellungskraft sollte der Geist bei der westlichen Leserschaft sein. Während die Empfangenden von Schamis Märchen häufig schmunzeln und sich wundern dürfen, lehrt sie der promovierte Chemiker und in 24 Sprachen übersetzte Autor beinahe nebenbei hohe Erzählkunst mit Tiefgang.